Corona-Notbremse passiert Bundesrat
Der Deutsche Bundestag hat gestern, am 21. April, die Novelle des Infektionsschutzgesetzes beschlossen. Nach den Wirren der vielen Ministerpräsidentenkonferenzen begrüße ich die Beratungen über Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung im Deutschen Bundestag außerordentlich. Es ist bekannt, dass die Freien Demokraten im Bundestag den Gesetzentwurf abgelehnt haben. Nicht wegen der Frage, „ob“ eine Pandemiebekämpfung nötig ist. Sondern aufgrund des „Wie“. Der Gesetzentwurf ordnet Ausgangssperren bei Überschreiten der Inzidenz in den Landkreisen verbindlich an. Das Gesetz erlaubt keinerlei Ermessen und Abwägung im Einzelfall mehr. Egal ob lokales und eingrenzbares oder diffuses Infektionsgeschehen, egal ob dicht besiedelt oder ländlicher Raum: Die Ausgangssperre wird kreisweit verhängt. Die Landesregierungen und Landräte haben keinerlei eigene Ermessens- und Handlungsspielräume. Allein diese Regelung bereits begegnet erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken, die von namhaften Staatsrechtlern öffentlich und zum Teil auch in der Anhörung zu diesem Gesetzentwurf vorgetragen wurden.
Der Fraktionsvorsitzende der CDU Bundestagsfraktion hat in der Diskussion versucht, diese verfassungsrechtlichen Bedenken beiseite zu wischen. Es sei schließlich ein „Gesetz für das Leben“ und damit sei jeder Parlamentarier in der Verantwortung, für das Gesetz und damit „für das Leben“ zu stimmen. Wir stehen bei der Bekämpfung der Pandemie vor hochkomplexen ethischen, moralischen und juristischen Fragestellungen. Hier die Diskussion auf schwarz und weiß zu reduzieren halte ich für mehr als unangemessen und nicht für verantwortungsvoll. Wir müssen die Pandemie wirksam bekämpfen und Leben schützen, das ist unbestritten. Aber wir dürfen darüber die Grundsätze unser Verfassung und damit unser politisches Handwerkszeug doch nicht vergessen: zielgerichtete Maßnahmen erarbeiten, die effizient wirken, verhältnismäßig sind und den Einzelnen nicht mehr als zwingend notwendig einschränken. Diesem Anspruch wird die vorliegende Novelle des Infektionsschutzgesetzes aus Sicht der Freien Demokraten und auch aus meiner Sicht nicht gerecht. Konsequenterweise hat die Fraktion der Freien Demokraten den Entwurf abgelehnt und Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt.
Der Hessische Ministerpräsident hat in der heutigen Sitzung des Bundesrats sehr deutlich auf die verfassungsrechtlichen Bedenken hingewiesen und diese ausdrücklich geteilt. Seine klaren Worte hierzu verdienen einerseits Respekt. In der Konsequenz und unter Hinweis auf den Zeitdruck hat die Hessische Landesregierung dennoch entschieden, keinen Antrag auf Einberufung des Vermittlungsausschusses zu stellen. Dies wäre ein starkes Signal und eine neuerliche Möglichkeit gewesen, den Bund zu Nachbesserungen am Gesetzentwurf zu bewegen, um Grundrechtsverstöße sicher auszuschließen.
Volker Bouffier sprach auch davon, das Wichtigste sei, die Menschen auf dem Weg der Pandemiebekämpfung mitzunehmen. Ich nehme ihm ab, dass ihm dies weiterhin ein zentrales Anliegen ist. Mit der Novelle des Infektionsschutzgesetzes und dem Verzicht auch eine sorgfältige, verfassungskonforme Ausgestaltung der Infektionsschutzmaßnahmen hat er sich jedoch einen Bärendienst erwiesen. Wie sollen die Bürgerinnen und Bürger Akzeptanz für die Maßnahmen eines Gesetzes aufbringen, dessen Verfassungsmäßigkeit selbst von Ministerpräsidenten im Bundesrat offen angezweifelt wird? Das zudem bis Ende Juni weiter einseitig auf repressive Maßnahmen und Lockdown setzt, statt kluge Strategien und Perspektiven für eine Rückkehr zur Normalität aufzuzeigen? Was sollen die Menschen denken, wenn der niedersächsische Ministerpräsident im Bundesrat sagt, er sei „gespannt“, ob das Bundesverfassungsgericht die verfassungsrechtlichen Zweifel bestätigt?
Gut gemeinte Gesetze und Regelungen müssen auch gut gemacht sein. Nur so kann Vertrauen in demokratische Prozesse und auch in die Pandemiebekämpfung aufrechterhalten werden.